Typographie hat Harun auch sehr fasziniert
Ein Gespräch mit dem Gestalter Hauke Sturm
Volker Pantenburg: Der Ausgangspunkt unseres Gesprächs ist, dass ich auf einem sehr schönen Plakat zu Farockis Film Etwas wird sichtbar Ihren Namen gelesen habe. Entwurf: Hauke Sturm. Im Internet war Ihre Website designconsort.de leicht zu finden. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Harun Farocki ergeben?
Hauke Sturm: Ich bin mit Harun durch Basis-Film in Kontakt gekommen, für die ich seit 1978 Plakate gestaltet habe. Meist lief es so: Ich bekam von Clara (Clara Burckner), die damals Basis-Film geleitet hat, einen Anruf oder eine Postkarte: „Lieber Hauke, bist du da? Es gibt einen neuen Film anzugucken.“ Üblicherweise war es dann so, dass ich zuerst den Film angesehen habe, was ich natürlich toll fand – manchmal im fast leeren Kino. Das wurde in einem kleinen Kino an der Hardenbergstraße organisiert, der „Filmbühne am Steinplatz“. Eine kleine interne Vorführung des Films, wo aber nicht selten – das kann ich für Harun jetzt nicht mehr genau sagen – die Regisseure dabei waren. Bei solchen Autorenfilmen und bei Harun sowieso war meist ein ganz großes Interesse da, sich auch über das Plakat zu verständigen. Insofern war das für mich immer selbstverständlich, dass ich mit den Regisseuren und in diesem Fall mit Harun zu tun hatte. Ich erinnere mich gut an lange Gespräche, in denen er geschildert hat, was er sich vorstellte, welche Bilder verwendet werden sollten. Manchmal, zum Beispiel beim Plakat für Bilder der Welt und Inschrift des Krieges haben wir eigens Fotos für das Plakat gemacht. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, sieht man eine etwas grob aufgelöste Landebahn, und in der Mitte ist ein kleines Polaroidfoto, wo man die Hände von Harun sieht. Das habe ich mit der Polaroid-Kamera aufgenommen und dann in die Mitte des Plakats montiert. Haruns Hände rahmen das Foto von einer Frau im KZ, die in die Kamera schaut. Das ist verblüffend, weil die Lagerinsassen in den KZs selten in die Kamera guckten. Diese Frau schaut aber direkt in die Kamera, und Harun hat mit den Händen einen Ausschnitt angezeigt. So haben wir das in das Plakat montiert. Das war ein Beispiel für die enge Zusammenarbeit und für das große Interesse von Harun.
Komischerweise kann ich mich an das Doppelplakat zu Etwas wird sichtbar, von dem Sie mir das Foto geschickt haben, gar nicht erinnern. Ich nehme an, das gab es nur in einer kleinen Auflage. Denn ich habe kürzlich mein Archiv durchgesehen, weil wir Arbeitsräume verkleinert habe. Und weil ich von einzelnen Plakaten so viele Exemplare hatte, habe ich manches weggeworfen. Basis-Film hat auch noch viele Plakate, da muss ich nicht von jedem 20 Stück aufheben. Die Druckereien haben mir immer viele Belegexemplare gegeben. Die beiden zu Etwas wird sichtbar habe ich dabei aber nicht gesehen. Gab es nicht noch ein größeres in Farbe?
VP: Nicht, dass ich wüsste. Die beiden schwarz-weißen Plakate haben auch die normale Größe, sie sind nicht kleiner als übliche Kinoplakate. Auf dem einen sind zwei Bilder aus dem Film, und auf dem anderen als Text die Dialogzeilen, die in den abgebildeten Szenen gesprochen werden. Eine großartige Gestaltungsidee, Text und Bild so radikal zu trennen und beides trotzdem grafisch aufeinander zu beziehen. Das Plakat ist auch deshalb interessant, weil eines der beiden Bilder die Szene zeigt, die auch den Trailer des Films darstellt. Und den Trailer wiederum haben Harun und Ronny Tanner als eine kleine Performance im Foyer des Delphi-Theaters aufgeführt, als der Film bei der Berlinale lief. Da greifen verschiedene Werbemaßnahmen eng ineinander.
Noch einmal zurück zu Bilder der Welt. Das Foto mit dem Bild aus Auschwitz und Haruns Händen ist fast zu einer ikonischen Aufnahme geworden, es wird sehr oft aufgegriffen in der Auseinandersetzung mit Harun und diesem Film. Sicher auch, weil die Szene oft diskutiert wurde. Neben Haruns Händen liegt eine Schere. Man sieht also den Prozess der Montage. Sie haben gesagt, dass sie ab 1978 für Basis-Film Plakate gestaltet haben. Dann war vermutlich Zwischen zwei Kriegen das erste von Farockis Plakaten, die Sie gestaltet haben? Das ist formal so ähnlich wie das zu Etwas wird sichtbar – wieder zwei Bilder aus dem Film nebeneinander.
HS: Ja, ich glaube, das ist auch von mir. Ich hab‘ nicht nachgezählt, aber es waren sicher 3 oder 4 Plakate. Ich müsste nochmal nachsehen. Vor ein paar Tagen war ich in Neustrelitz, wohin der Basis-Film Verleih sein Lager verlegt hat. Dort hatte ich mit Clara Burckner und Horst Conrad zu tun. Wir hatten uns lange nicht gesehen und kamen auf alte Zeiten zu sprechen. Ich habe dann auch von ihrem Anruf erzählt, da sagte Clara: Harun war ja auch später häufiger hier in Neustrelitz, wenn er Urlaub gemacht hat, für ein paar Tage. Und in dem Zusammenhang sprachen wir darüber, dass ich mal eine Liste anfertigen sollte, weil ich das auch selbst nicht mehr im Kopf habe. Gerade in Bezug auf Haruns Filme wäre das vielleicht für sie interessant.
VP: Ja, unbedingt. Die Plakate, die uns hier vorliegen, kann ich gleich einmal nennen. Das chronologisch letzte, das wir aus dieser Phase haben, ist Videogramme einer Revolution, und davor Leben BRD.
HS: Ja, diese beiden sind auch von mir.
VP: Dann kann man wohl davon ausgehen, dass alle Plakate zu Haruns Filmen in dieser Phase – 1978 bis 1992 – von Ihnen gestaltet wurden. Eins davon, das bei Basis-Film zu einer ziemlichen Empörung geführt hat, ist das zu Wie man sieht. Ganz oben sind drei Bilder zu sehen, und das mittlere stammt aus einem Pornoheft und kommt auch im Film vor. Man sieht eine Zeitung lesende Frau mit gespreizten Beinen. In der Korrespondenz Haruns ist nachzulesen, dass Clara Burckner und Basis-Film das unmöglich fanden und keinesfalls mit diesem Plakat arbeiten wollten. Können Sie sich an diesen kleinen Eklat um das Plakat zu Wie man sieht erinnern?
HS: Nein, ich kann mich nicht direkt erinnern, aber es wundert mich nicht. Als wir vor ein paar Tagen über die Zeit von Basis-Film hier in Berlin gesprochen haben, ging es auch darum, dass Basis-Film damals fast ausschließlich von Frauen geführt wurde. Ich fühlte mich als Mann dort absolut willkommen, das war gar keine Frage, aber es war von der Arbeitsweise und Atmosphäre ein eindeutig „frauenbewegtes“ Unternehmen mit einem klaren emanzipatorischen und feministischen Verständnis. Insofern wundert es mich nicht, dass es da einen Eklat gegeben hat. Ist das Plakat denn dann gedruckt worden, oder hat Clara Einspruch erhoben, so dass es gar nicht realisiert wurde?
VP: Das Plakat gibt es, aber auffällig ist, dass die größte Fläche des Plakats leer ist. Eine weiße Fläche. Man könnte sich vorstellen, dass dort, wo das Weiß ist, auch noch ein Bild war. Oder dass das umstrittene pornographische Bild ursprünglich größer abgebildet war. Vielleicht lässt sich das durch die Korrespondenz noch klären. In der jetzigen Fassung sind oben recht klein drei Bilder nebeneinander. Links das Foto eines sehr frühen Panzers, dann die Frau mit Zeitung und den gespreizten Beinen und rechts das Schaubild eines Maschinengewehrs. Das alles spielt sich im oberen Sechstel des Plakats ab, mit kleingedruckten Bildunterschriften und am unteren Rand erneut Schrift. Das ist beim Titel Wie man sieht natürlich interessant, dass das Plakat eine weiße Fläche, etwas Unsichtbares ins Zentrum stellt.
HS: Was Sie gerade beschrieben haben mit der großen Weißfläche: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir so etwas gemacht haben. Wenn wir diskutierten, wie ein Plakat sein sollte, hatte ich immer das Gefühl, dass Harun zu einer radikalen Sichtweise oder auch einem Bruch mit gängigen Wahrnehmungsklischees nicht nur bereit, sondern sehr interessiert daran war. Ich war immer ein bisschen hin- und hergerissen, denn mein Auftraggeber war Basis-Film. Und mit vielen anderen Filmemacher*innen habe ich immer wieder diskutiert, wie Filmplakate sein sollten. Und ich hatte auch Lust, den Stil zu variieren. Trotzdem hatte ich das Gefühl: Ein Plakat muss so sein, dass man Lust hat in den Film zu gehen. Meistens hatte ich drei Entwurfsvarianten, und oft habe ich Leute – entweder bei Basis oder auch zuhause – gefragt, welches Plakat sie am besten fänden. Und dann habe ich manchmal auch gefragt: In welchen Film würdest du gehen, wenn es drei Film wären? Und das war nicht immer identisch. Das fand ich sehr interessant. Es gibt eine bestimmte Ästhetik, die einem gefällt, aber wenn man in einen Film gehen will, hat man auch eine Erwartung, was das Plakat verspricht. Ein Plakat soll vielleicht auch die Idee oder die Atmosphäre eines Films vermitteln. Und bei den radikaleren Ideen von Harun dachte ich manchmal: Das wird bestimmt ein tolles Plakat, das ich mir gern ins Büro hänge, aber ist es auch ein Plakat, bei dem die Leute Lust haben, in den Film zu gehen? Andererseits, wenn man die Filme von Harun kennt, dann weiß man auch beim Betrachten des Plakats, dass es mit Sicherheit kein gängiger Film ist.
VP: Weil Sie von den verschiedenen Entwürfen sprachen: Haben Sie solche Alternativentwürfe auch aufbewahrt? Das wäre sehr interessant.
HS: Ja, einiges habe ich aufbewahrt, aber zuletzt habe ich auch Sachen aussortiert. Aber wenn ich noch etwas habe und Sie daran interessiert sind, kann ich gerne nochmal gucken.
VP: Das wäre toll. Fragen der Sichtbarkeit, der Gestaltung, sind ja für die Filme genauso relevant wir für die Bilder und Texte, die um die Filme herum existieren. Zu Etwas wird sichtbar gab es auch eine Art Flyer, den wir in einem frühen Heft des Farocki-Instituts (HaFI 005) als Faksimile publiziert haben. Das ging auch von Basis-Film aus. Ein Faltblatt zum Ausklappen. Das ist eine interessante Variante, z.B. mit einem längeren Pasolini-Zitat und Elementen, die nicht direkt zum Film gehören. Könnte das auch von Ihnen sein?
HS: Das könnte sein.
VP: Hier steht „Redaktion: Irene Kraft, Produktion: GKM“.
HS: GKM ist eine Werbeagentur, dann haben die das sicher gemacht. Schicken Sie es mir doch mal, das interessiert mich.
VP: Noch zu Ihnen: Sie waren damals und sind bis heute Grafiker und Gestalter und machen vor allem Print-Aufträge?
HS: Das war schon immer mein Traum. Als ich 15, 16 war, wollte ich Architekt werden. Aber dann kriegte ich mit, dass da gar nicht so viel gezeichnet wurde, wie ich gern wollte. Daraus kam dann die Idee, dass ich Grafiker werden wollte. Und schon zu dieser Zeit war mir klar, dass ich am liebsten Buchumschläge und Filmplakate machen will und nicht so viele andere Sachen; und erst recht keine Werbung. Insofern war der Kontakt zu Basis-Film eine ganz wichtige Station in meinem Leben. Später habe ich dann auch andere Sachen gemacht. Denn für diese Nische der Autorenfilme wurde es um die Jahrtausendwende immer schwieriger. Es kamen dann nur noch sehr wenige Aufträge von Basis, und zum Teil haben sie mit anderen zusammengearbeitet oder es selbst gemacht. Aber das war eine wichtige Phase in meinem Berufsleben.
VP: Da spielt ja auch Typographie mit rein.
HS: Ja, Typographie hat Harun auch sehr fasziniert. Das steht für Filmemacher ja eigentlich nicht so im Vordergrund. Ich kann mich erinnern, dass ich für einen seiner Filme – ich weiß jetzt nicht, welchen – die Typographie des Abspanns gemacht habe in Zusammenarbeit mit der Firma, die den Abspann dann technisch umgesetzt hat. Das war recht unüblich für mich, aber das hatte mit Harun zu tun. Er wollte, glaube ich, die gleiche Schrifttype im Abspann, wie wir sie auf dem Plakat verwendet hatten. Ich glaube, das war der Hintergrund, dass er um eine typographische Einheitlichkeit bemüht war.
Das Gespräch fand am 29. Oktober 2021 per Telefon statt.
03.04.2023 — Rosa Mercedes / 06